Entwicklung der freilebenden Vogelwelt

Im Zeitraffer die Entwicklung unserer freilbenden Vogelwelt
von der Nacheiszeit bis zum heutigen Tage

„Die nacheiszeitlichen großen Laubwälder Mitteleuropas zur Eichenmischwald- und Buchenzeit waren artenarm und beherbergten selbst in großen Gebieten nicht einmal 50 Vogelarten. Die menschliche Landnahme führte dann v.a. ab dem frühen Mittelalter zu einer reich strukturierten Mosaiklandschaft mit Feldern, Wiesen, Weinbergen usw., in die aus dem Süden und Osten viele neue Arten wie Lerchen, Ammern, Sperlinge, Stare, Rebhühner u.v.a. einwandern konnten. Sie alle hatten in der Zeit extensiver kleinbäuerlicher Landwirtschaft ihr gutes Auskommen – ganzjährig in den Wildkräuter-(„Unkraut“-)Beständen von Brachfächen (der Dreifelderwirtschaft) und saisonal auf den Ackern, die auch bei uns bis in die 1950er Jahre zu einem Großteil Klatschmohn, Kornblumen, Disteln und viele weitere Wildkräuter in Fülle gedeihen ließen, so wie heute noch z.B. in Ostpolen oder Rumänien. Diese vom Menschen geschaffene Mosaiklandschaft führte zu einem allgemeinen Artenreichtum bei Pflanzen und Tieren, bei Insekten etwa von Heuschrecken und Schmetterlingen. Dieser Artenreichtum ließ im 18. Jahrhundert in den meisten Regionen Mitteleuropas die Artenzahl auf mehr als das Doppelte ansteigen. Dann aber kam die Wende:

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen vielerorts Vogelbestände merklich zurück, 1849 von Johann Friedrich NAUMANN erstmals wissenschaftlich belegt. Spielte zunächst direkte menschliche Verfolgung noch eine wesentliche Rolle, kam es danach und besonders ab den 1950er Jahren durch zunehmend intensive Landwirtschaft in nahezu Wildkräuter freien Monokulturen, infolge des Einsatzes von Bioziden (Herbiziden, Insektiziden usw.), aber auch durch den Landverbrauch für Siedlungen und Verkehrswege, durch menschliche Freizeitaktivitäten u.a. zu einem starken und sich beschleunigenden Rückgang großer Teile von Flora und Fauna.

So stehen heute bei uns von allen Tier- und Pflanzenordnungen im Durchschnitt mindestens rund die Hälfte aller Arten in „Roten-Listen“ - d.h., ihr Fortbestand ist ungewiss!!! Dabei sind längst auch ehemalige „Allerweltsarten“ betroffen wie Haus- und Feldsperling oder Star, die noch vor wenigen Jahrzehnten heftig bekämpft wurden. Wie sehr unsere Vogelwelt inzwischen v.a. in den intensiv genutzten Landesteilen zusammengeschrumpft ist, zeigt beispielhaft eine Analyse des „idyllischen“ süddeutschen Dorfes Möggingen am Bodensee, in dem die Vogelwarte Radolfzell über 50 Jahre lang genaue Bestandserfassungen durchgeführt hat.

Dort sind inzwischen von ehemals 110 Brutvogelarten 35% ganz verschwunden oder brüten nur noch unregelmäßig, weitere 20% nehmen im Bestand ab und nur etwa 10% zeigen Bestandszunahme oder haben sich neu angesiedelt. Auf einer Probefläche von 4 km² ist die Individuenzahl von ursprünglich rund 3300 Vögeln auf 2100 zurückgegangen und die Vogel-Biomasse von früher ca. 240 kg auf derzeit nur noch rund 150 kg. Hauptursache dafür sind Lebensraumverluste und -verschlechterungen, in allererster Linie bedingt durch eine enorme Abnahme der Verfügbarkeit an Nahrung. Sie liegt bei Heuschrecken in einer Größenordnung von  90%, bei Pfanzensamen  z.T.  bei  100%.

Das sollte man im Kopf behalten, wenn man sich mit der Frage der Zufütterung wild lebender Vögel näher beschäftigen möchte. Und noch eines hat die Mögginger Studie wie auch andere einschlägige Arbeiten klar gemacht: Es gibt fast keine „Allerweltsarten“ mehr, die sozusagen sicher in Frieden mit uns leben können. Die Beispiele Haus- und Feldsperling, Star, inzwischen auch Feldlerche und Rauchschwalbe zeigen, dass gegenwärtig durch unsere rigorose Lebensart jede Vogelart von heute auf morgen von Bestandseinbrüchen betroffen sein kann. Wir sind deshalb sicher gut beraten, wenn wir auch die zurzeit noch häufigen Arten, wie z.B. unsere Meisen, durch Zufütterung im Bestand stützen, bevor auch sie von dem sich schon abzeichnenden Rückgang ernsthaft betroffen sind. Und selbst bei einer unserer häufigsten Arten - der Kohlmeise - bahnen sich längst Bestandseinbrüche an über eine Ursachenkette von saurem Regen (bedingt durch Luftverschmutzungen) über den Schwund an Kleinschnecken (durch Kalkmangel) und daraus folgenden Missbildungen der Eischalen bis zu nachlassendem Bruterfolg.“
 
Quelle: „Vögel füttern, aber richtig“ von Prof. Dr. Peter Berthold und Gabriele Mohr, Seite 10-12, erschienen im Franckh-Kosmos Verlag Stuttgart
 
Der Text wurde uns von der GEVO GmbH freundlich zur Verfügung gestellt. Gesundes Vogelfutter!